Galaktische Orgasmen

von Dirk Ryssel

Kürzlich sehen ich und meine Frau einen völlig harmlosen und ebenso langatmigen amerikanischen Spielfilm mit Bradley Cooper und Emma Stone im Fernsehen. Während ich gerade herrlich am wegdösen bin, wird die Handlung unterbrochen, und die Werbung beginnt. Gleich im ersten Spot wird für ein Kondom geworben, das mit seinem „Intense Gel“ für „galaktische Orgasmen“ bei der Frau sorgen soll.
Ich bin wieder hell wach. Meine Frau auch! Was haben wir da eben gesehen? Ein Kondom, das ihr galaktische Orgasmen beschert? Das wird sofort auf den Einkaufszettel notiert!
Wenn es einen Bereich in unserer Gesellschaft gibt, in dem die Emanzipation so vorangeschritten ist, wie sonst nirgendwo, dann ist es beim Sex: Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten geht es nur noch darum, was Mann tun muss, um Frau einen galaktischen, kosmischen oder universalen Orgasmus zu verschaffen. Praktisch auf jeder Ausgabe der Zeitschrift „Men’s Health“ prangen neben den 6 besten Übungen für das perfekte Sixpack, die zehn besten Tipps, wie Mann es ihr richtig besorgt. Oder auf welche zehn Praktiken sie steht und welche Sextoys sie so richtig in Fahrt bringen.

Es ist schon seltsam: Frauen schreiben Sex-Ratgeber, in denen Männer nach ihren physischen Qualitäten und sonstigen Fertigkeiten klassifiziert werden. Sie reden offen über die Größe und Form des idealen Penis‘ und über Männer, die mit ihrem Ding umzugehen wüssten, damit SIE auf ihre Kosten kommt. Die Qualität eines Liebhabers lässt sich nun endlich an der Anzahl der Orgasmen evaluieren. Die selbst ernannte „Sexpertin“ Paula Lambert stuft gar jene Männer, die nicht sofort mit ihr ins Bett wollen, als Softies und Schlappschwänze ein. Und niemand traut sich zu fragen, ob dieses Klischee der ständig kopulationswilligen Frau à la Samantha Jones in „Sex and the City“ nicht in Wirklichkeit einer Männerfantasie entsprungen ist.

Männer werden nur noch auf die Dienstleistung des Orgasmus-Besorgers reduziert. Welche Bedürfnisse wir selbst haben, ist irrelevant. Die konnten wir schließlich die letzten 10.000 Jahre ausleben. Nun sind die Frauen an der Reihe, und die Männer von heute sind bestenfalls das dazu nützliche Werkzeug. Die Erotik von Männern gilt im Allgemeinen als schmutzig, frauenfeindlich und sexistisch. Wirtschaftliche Steigerungspotenziale sind in unserem Sektor nicht mehr vorhanden, weshalb auch die Bahnhofkinos und Peepshows verschwunden sind.

Sexshops haben heute nur noch dann eine Überlebenschance, wenn sie sich voll und ganz auf die weibliche Lust konzentrieren: In Berlin Prenzlauer Berg wirbt ein Laden namens „Dildo-King“ mit dem Slogan „Sex macht schön“ – eigentlich ein Paradoxon, denn zum Sex gehört ja bekanntlich mehr als ein Dildo – und ist ausschließlich auf Frauen ausgerichtet.

Und mehr noch:

Neulich entdecke ich in einem Bekleidungskatalog meiner Frau, dass man jetzt neben Hosen, Jacken, Tops, Haushalts- und Beautyartikeln auch Einsteiger-Sets für Beckenbodentraining, Ratgeber für erfüllten Sex sowie den lustigen Auflagevibrator in Hasenform inkl. 10 Vibrationsmodi mit den dazu passenden Gesichtsausdrücken bestellen kann. Nicht zu vergessen das klassische Modell in Penisform mit speziellem Klitoris-Reizarm – jeweils separat gesteuert in 7 Vibrationsprogrammen sowie den neuen Spielgefährten Womanizer Pro mit speziellem Saugmechanismus für die Klitoris.

Auf der nächsten Seite geht’s dann nüchtern weiter mit dem Kaffeebereiter inkl. integriertem Wassertank und dem Schlaf-Shirt „Eisbär“.

Mich sollte es nicht wundern, wenn man demnächst auch noch das lebendige Modell für Ganzkörperstimulation dazu bestellen könnte, sozusagen, den vollautomatischen Sex-Androiden, der auf die individuellen Bedürfnisse der Frau perfekt einstell- und anwendbar ist.

Ich stelle mir vor, welchen gesellschaftlichen Aufschrei es gäbe, wenn sich solche Artikel in einem Herrenausstatter-Katalog befänden: Also neben den Budapester Schuhen mit Flügelkappen aus feinem Kalbsleder, hergestellt von edlen Handwerkern in der Grafschaft Northamptonshire , dem feinen Business-Anzug aus Super 120er Kammwolle in Glen-Check-Optik – die aufblasbare Liebespuppe „Horny Quella“ mit Vibro-Bullet und GAG-REFLEX.

Okay, lassen wir das.