Jammern auf hohem Niveau

von Dirk Ryssel

Ich kann es ehrlich gesagt nicht mehr hören… oder lesen… dieses ewige Gejammer! Wie schlimm doch die Corona-Krise sei. Wie sehr sie uns in unserem Leben beeinträchtigt und einschränkt! Wie sehr wir unter den Reglements leiden… Jetzt demonstrieren sogar Hunderte von Deppen und fordern die Abschaffung der „Maskenpflicht“, weil sie das in ihrer Freiheit einschränke.  BULLSHIT! Was sind wir doch alles für Memmen, Weicheier und Heuchler!

Ja, Corona ist schlimm! Eine lebensgefährliche Krankheit, die vor allem für Menschen mit Vorerkrankungen heftig und bedrohlich verlaufen kann. Ja, es sind bereits viele Menschen daran gestorben, und es werden daran noch viele Menschen sterben. Ich will das gar nicht kleinreden, und ich wünsche wirklich niemandem, dass er an Covid-19 erkrankt. Aber im Unterschied zum Rest der Welt geht es uns Deutschen blendend! Selbst im europäischen Vergleich stehen wir bestens da: Wir hatten keine wirklichen Ausgangssperren wie in Italien oder Frankreich, wo man für jedes Verlassen der Wohnung ein Zertifikat ausdrucken und ausfüllen musste, um zu belegen, zu welchem Zweck man wohin wollte. Hatte man so einen Schrieb nicht dabei und wurde erwischt, was angesichts der hohen Polizeipräsenz in beiden Ländern sehr wahrscheinlich war, hagelte es deftige Strafen.

Bei uns leiden die Leute darunter, dass sie nicht ins Fitness-Studio dürfen. Oder zum Friseur… ich heul‘ gleich! Und wenn eine Zeit lang ein paar Regale nicht aufgefüllt sind, wird gleich über Plünderungen geklagt und geschrieben… PLÜNDERUNGEN! Wann haben wir jemals Plünderungen bei uns erlebt? Das ist wohl schon mindestens 75 Jahre her, aber in Anbetracht mangelnder Krisen müssen wir uns offenbar immer welche verbal heranzüchten. Seit Monaten berichten die Medien von kaum etwas anderem: Jeden Tag gibt es mindestens zwei bis drei Sondersendungen, Extras oder Brennpunkte. Ich habe über Wochen die Nachrichten-Schlagzeilen meines Smartphones ausgeblendet, weil ich in jeder Überschrift dasselbe C-Wort entdeckte. Als ob es keine anderen Probleme mehr gäbe.

Ich wiederhole es gerne noch einmal: Ja, Corona ist eine Krise. Ja, Corona kann tödlich sein! Aber das Leben ist IMMER tödlich! Und es gibt nun mal keine Garantie für ein dauerhaftes Leben auf dem Ponyhof! Gefahren lauern überall, wenn wir auf die Straße gehen und selbst, wenn wir zu Hause bleiben, können wir uns verletzen oder umbringen: Die schlimmsten Unfälle passieren bekanntermaßen im Haushalt. Und ich rede jetzt nicht von den zwischenmenschlichen Missgeschicken. Und ja, manchem Klein-Unternehmer, der von der Hand in den Mund lebte, haben die Einschränkungen und Hygienemaßnahmen in den Ruin getrieben. Das ist in der Tat schlimm. Aber mal ehrlich: Muss in diesem Land irgendjemand verhungern? Wurde infolge der Krise einem Menschen sein Haus oder seine Wohnung zerstört? Wurde er obdach-, ja heimatlos? Hat jemand seine gesamte Familie verloren? Diese Fragen muss ich wohl nicht beantworten…

In Südafrika geht es den Menschen schlecht. Es ging ihnen schon vor der Corona-Krise schlecht, aber nun…? In Brasilien, wo Präsident Bolsonaro das Virus lange Zeit heruntergespielt hat, wird die Krankheit vor allem die ärmsten Menschen am härtesten treffen. Ähnlich in Indien und Zentralafrika. Hinzu kommen dort noch vom Klimawandel, also von unserem Wohlstand verursachte Naturkatastrophen, wodurch die Menschen ihr letztes Hab und Gut verlieren. Erst diese Woche hörte ich einen Bericht über irgendeinen afrikanischen Zentralstaat, in dem mehr Menschen an Hunger als am parallel wütenden Corona-Virus sterben.

Und bei uns jammert die Lufthansa, dass sie infolge der zurückgegangenen Umsätze in die roten Zahlen gekommen wäre. Obwohl sie jahrelang Milliarden an Dividenden und Boni ausgezahlt und ihre Steuerabgaben auf Panama geparkt hat. Geht’s noch? Wo bleibt das unternehmerische Risiko? Wo bleibt die persönliche Haftung und Verantwortung der Firmeninhaber? Oder ist diese nur zuständig für die Gewinne, nicht aber für die Verluste?

Ich könnte wirklich im Strahl kotzen: Jeder, wirklich jeder kommt jetzt aus der Retorte, um beim Staat die Hand aufzuhalten. Ob Kleinunternehmer und -künstler, für die ich im Eigeninteresse Verständnis habe, aber mit Verlaub: Warum sind wir Künstler? Um reich zu werden? Woher kommt wohl der Ausdruck „brotlose Kunst“, mit dem meine frühere Schwiegermutter in spe meine Studienwahl kommentierte? Und dabei bekommen wir sogar Brot vom Staat, wenn’s ganz eng wird. Aber ich meine eigentlich die Großindustrie: Jahrzehntelang haben sie von diesem System profitiert, haben Billionen-Gewinne mit der Ausbeutung von Arbeitskräften sowie der staatlich geduldeten Produktionsverlagerung in Billigländer gemacht! Haben den Gesetzesgeber mit Steuertricks und halblegalen wie illegalen Methoden um seine Umweltvorgaben beschissen, haben sich jegliche gesetzliche Regularien verbeten. Aber nun, wo’s mal nicht ganz so rund läuft, erinnern sie sich plötzlich an Vater Staat und wollen finanzielle Unterstützung? So wie die Lufthansa, die jahrelang Steueroasen wie Panama genutzt hat, um weniger an den deutschen Fiskus zahlen zu müssen. Also, warum sagt unsere Regierung jetzt nicht: Sorry, wir leben im Kapitalismus! Wer ständig Gewinne erzielt, muss auch mal Verluste einkalkulieren!

Ach, drauf geschissen, ich beantrage jetzt die Soforthilfe, und zwar zur Weiterentwicklung des 2003 eingestellten Überschallriesen „Concorde“: Natürlich mit elektronischer Abgasmanipulation. Interessiert doch eh keine Sau, solange ich damit Arbeitsplätze schaffe.