Schwaben

von Dirk Ryssel

Ich muss hier mal eine Bresche für die Schwaben schlagen. Zugegeben nach einer knappen Woche kulinarischer Bestechung durch meine Tante mit Sauerbraten, Rindsrouladen, Gaisburger Marsch und den obligatorischen Maultaschen fällt mir das nicht sonderlich schwer. Vielleicht wäre noch die Offenheit und Freundlichkeit, der ich in meiner Geburtsheimat begegnet bin, zu erwähnen. Ja, ich gebe es offen zu: Ich bin ein gebürtiger Schwabe. Na und? In Berlin wird man ja selbst nach 33 Jahren noch nicht als Berliner akzeptiert. Nur als Rucksack-Berliner, weil man hier nicht geboren wurde. In der Hauptstadt gilt und galt schon vor der Geburtsrechtsreform der Bundesrepublik das Boden- vor dem Blutrecht. Denn nach Letzterem wäre ich mit zwei gebürtigen Berlinerinnen als Vorfahren, nämlich meiner Mutter und Großmutter, ein so was von echter und reinrassiger Berliner, dass ein „reigeschmeckter“ Prenzlberger wie Wolfgang Thierse vor mir noch den Diener machen müsste.

Apropos Thierse: Natürlich wurde ich von meiner Verwandtschaft auf den sogenannten „Spätzlestreit“ angesprochen, auf dessen Höhepunkt die Spaßguerilla „Free Schwabylon“ das Käthe-Kollwitz-Denkmal in Berlin Prenzlauer Berg mit Spätzle bewarf und sich der frühere Bundestagspräsident über die schwäbischen Wecken und Pflaumendatschi in „seinem“ Bezirk mokierte. Ehrlich gesagt konnte ich ad hoc dazu gar nichts sagen, weil mich dieses identitäre „Geschwätz“ um Ur-Berliner und eingewanderte Yuppie-Berliner nie sonderlich interessiert hat. Berlin war immer schon eine Stadt, die sich zum großen Teil aus Zuwanderern konstituiert hat und von diesen verändert wurde. Der Berliner Dialekt bediente sich seit jeher von Spracheinflüssen aus dem Flämischen, Rotwelschen, dem Slawischen und dem Jiddischen. Die von Thierse geforderte Schrippe wird zwar seit dem 18. Jahrhundert als berlinerisch verbürgt – ehrlich gesagt bin ich aber froh, dass es inzwischen auch Semmeln, Croissants, Baguettes und eben auch Wecken oder Weckle gibt. Es lebe die Vielfalt, denn die galt schon immer als das besondere Merkmal in der zum Glück nicht mehr ganz so preußischen Metropole.

Ich kann ja den Unmut über die Gentrifizierung gut nachempfinden, schließlich bin ich im Grenzbezirk zum Prenzlauer Ländle genauso von der Mietpreisexplosion betroffen. Aber wenn die Stadt nun mal seit Jahrzehnten so abgebrannt ist, dass sie trotz horrender Gebühren für die Straßenreinigung nur noch sporadisch die Gehwege säubert, habe ich weiß Gott nichts gegen die Kehrwoche einzuwenden. Im Übrigen kümmern sich auch Nicht-Schwaben um die Beseitigung des z.B. von Jahr zu Jahr schlimmer werdenden Silvestermülls und fegen ihren Eingangsbereich frei. Insbesondere unsere türkischen und arabischen Mitbürger in Pankow sind, im Gegensatz zu unserer Stadtreinigung, die sich oft bis Mitte März Zeit lässt, sehr darauf bedacht, den Eingangsbereich ihrer Einzelhandelsgeschäfte von tierischen Exkrementen und menschlichem Wohlstandsmüll freizuhalten. Und die können ja nicht allesamt aus der Heimat Cem Özdemirs stammen.

Wenn ein gewisser Sinn für Ästhetik und Fußwege, auf denen man weder auf Hundehaufen noch auf Bierflaschen ausrutscht für schwäbische Tugenden stehen, ja, verdammt nochmal, dann bin ich eben auch ein Schwabe. Was soll an trockenen Wasser-Mehl-Schrippen und unsanierten Altbauten so toll sein, außer, dass beides billig ist? Kann sich die Berliner Subkultur nur entfalten, wenn es hier aussieht, wie kurz nach dem Krieg? Es ist ein natürlicher Lauf der Entwicklung weltweit, dass sich Studenten und Kreative immer dort ansiedeln, wo es billig ist, und durch ihren Bildungshintergrund und ihre Flexibilität etwas Neues schaffen, das ihr Umfeld attraktiver macht und am Ende Bessergestellte anzieht. So war es in Notting Hill, im Osten Paris‘ und in Brooklyn. Nicht also die Schwaben sind die Spießer, sondern alle jene, die aufgrund ihres erweiterten Horizonts nach Kultur, Vielfalt und Schönheit streben.

Schade, vermutlich ist die Engstirnigkeit gegenüber allem Neuen auch der Grund, warum Berlin niemals so ein kosmopolitisches Niveau wie andere europäische Hauptstädte erreichen wird. Ond deswäga gang i jetzt erscht recht mei Gass kehra…