Hurra, der Kommunismus hat doch gesiegt!
Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass man seit einigen Jahren nichts mehr kaufen muss? Von allen Seiten der Werbung dröhnt es auf einen ein: „Hol dir den neuen LED Flat-Screen Fernseher von LG mit 139 cm Bildschirmdiagonale und 4K UHD Empfang!“ Oder: „Hol dir das neue SAMSUNG Galaxy S8 Smartphone, mit 64 GB, 5.8 Zoll Display in Midnight Black!“
Von Kaufen redet keiner mehr, offenbar ist das unschick.
Kürzlich ruft mich ein Freund aus Köln an – ein echter „Dinks“, wie mein Bruder sagen würde – double income no kids: „Ich habe uns jetzt einen neuen 4K Ultra-HD Fernseher mit 163er Bilddiagonale GEHOLT“, verkündet er stolz. „Geholt?“, frage ich. „Was kostet denn sowas?“ „Ach, keine 1800 Euro!“, beschwichtigt er. „Das geht!“, lüge ich und verschlucke mich dabei an meinem Nachmittagskaffee.
GEHOLT!
Für 1800 Euro! Unsereins HOLT sich dafür einen Gebrauchtwagen…
GEHOLT, diese sprachliche Verharmlosung des Kaufvorgangs, der eine Reihe komplizierter juristischer Abläufe beinhaltet, scheint bewusst den vernunftgegebenen Entscheidungsprozess zwischen Notwendigkeit und Konsumgier ausschalten zu wollen. Man holt sich den neuen SUV Landrover genauso wie man sich ein Glas Wasser aus der Küche holt.
„Hol mir mal ’ne Flasche Bier!“, befehligte der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einen der um ihn stehenden Männer bei einer Wahlkampfveranstaltung, während er selbst Autogramme gab. Ob Derjenige das Bier für den Kanzler zahlen musste und ob, wenn ja, er die Auslagen jemals wieder zurückbekam, ist nicht überliefert.
Neugierig geworden, schalte ich den Computer ein, um das Wort „holen“ zu googeln: Auf duden.de finde ich gleich mehrere Bedeutungen:
- a) von einem Ort, einer Stelle, an der sich etwas befindet, her[bei]bringen […]
- b) jemanden […] herbeirufen […]
- c) von einem bestimmten Ort abholen […]
- sich etwas geben lassen […]
- (umgangssprachlich) gewinnen, erlangen, erwerben
- (umgangssprachlich) sich etwas (Krankmachendes, Unangenehmes, Schlimmes) zuziehen
- (Seemannssprache) herab-, heranziehen
- (landschaftlich) kaufen
Aha, denke ich, die Umgangssprache, vgl. 3. „erwerben“ und die Dialekte, vgl. 6. „kaufen“, haben sich in der Werbung breit gemacht. Aber die ersten beiden Bedeutungen müssen ja auch noch ihre Gültigkeit haben. Die 4. Bedeutung benutzt in der Werbung komischerweise niemand: Oder haben Sie schon mal gehört, dass ein Pharma-Produkt beworben wird mit den Worten: „Hol dir die neue Skrotum-Krätze! Endlich wieder geiles Kratzen am Sack!“ Eher unvorstellbar.
Ich denke mir, die ersten beiden Duden-Bedeutungen will ich gleich mal ausprobieren und fahre zu unserem nahe gelegenen Elektronik-Markt. Am Info-Center am Eingang frage ich, wo ich mir das neue Lenovo Yoga Tablet abholen könne? Die Mitarbeiterin sieht mich irritiert an: „Haben Sie den Artikel online vorbestellt?“ „Nein“, entgegne ich, „ich möchte mir gerne das Tablet holen, das sie in der Werbung so angepriesen haben!“ „Da müssense mal in die Computerabteilung gehen und da nachfragen“, antwortet die Verkäuferin gelangweilt. „Nee“, sage ich ein wenig patziger, „ich will mir das jetzt hier abholen, so haben Sie es schließlich im Radio angekündigt!“. „Ich glaube, Sie haben da etwas falsch verstanden“, versucht die Verkäuferin etwas mitleidig zu erklären. „Ich glaube, Sie haben da etwas falsch verstanden! Ich bin doch nicht blöd!“, brülle ich sie an und hoffe, dass sie endlich den Geheimcode versteht und entsprechend reagiert. „Bitte gehen Sie jetzt, sonst muss ich den Sicherheitsdienst rufen!“, erwidert die Mitarbeiterin ernst. Sie macht auf dem Absatz kehrt und murmelt ein „Verarschen kann ich mich selbst“ in ihren nicht vorhandenen Damenbart. Ich stehe da wie bestellt und nicht abgeholt. Ein ca. 2 Meter 15 großer Schrank erscheint plötzlich vor mir: „Haben Sie sonst noch Fragen? Sonst müsste ich Sie bitten zu gehen!“ So sieht’s aus, wenn man sich wirklich etwas holen will, was in der Werbung angepriesen wird.
Ach, hol die doch der Teufel, ich hol‘ mir jetzt einen runter!
Umsonst!
Noch…