Sexisten

von Dirk Ryssel

Ich gebe es offen zu: Ich bin ein Sexist!

Im Radio vernahm ich kürzlich, dass ein Mann, wohl ein Botschafter a.D., während einer Podiumsdiskussion bei der Begrüßung der Berliner Staatssekretärin Swasan Chebli gesagt haben soll, dass er nicht mit einer so jungen Kollegin noch dazu mit einer so schönen gerechnet habe. Die Staatssekretärin ließ ihre Community auf Facebook später wissen, dass sie ihre Rede nur noch mangelhaft habe vortragen können, weil sie über jene sexistische Äußerung ihres Gastgebers so geschockt gewesen sei.

Nun bin ich nicht dabei gewesen, weiß also nicht, wie jener Mann seine Äußerung vorgebracht hat, ob er dabei lüstern der jungen Frau in den Ausschnitt gegafft, sie Zunge heraushängend von oben bis unten gemustert, sich womöglich dabei sogar in den Schritt gefasst hat, aber dass der Inhalt seiner Bemerkung sexistisch gewesen sein soll, weil er sie im falschen Kontext angebracht habe, irritiert mich.
Mir hätte das auch passieren können. Ich mache gerne Komplimente. Ich bin so erzogen worden. Von einer Sexistin, der ihr Äußeres sehr wichtig war und immer noch ist. Mit 80!

Ich erinnere mich, dass ich zu Uni-Zeiten einer sehr attraktiven Kommilitonin aus meiner Arbeitsgruppe mal ein Kompliment über ihr Aussehen gemacht habe und sogleich von ihr angesehen wurde, als hätte ich sie gefragt, ob sie mit mir ficken will. Vermutlich hätte sie diese Frage sogar als weniger sexistisch empfunden.

Einige Jahre später nach meinem Studienabschluss versuchte mein bester Freund mir meine Ängste vor der Arbeitslosigkeit zu nehmen, indem er betonte, dass ich mit meinem Aussehen jederzeit einen Job bekäme. Ich war irritiert, weil ich sogleich annahm, dass er meine fachliche Kompetenz in Frage stellte und mich nur auf mein Äußeres reduzierte. War das nun ebenfalls Sexismus oder wollte mein Freund nur nett sein?

Ich bin zur Höflichkeit sozialisiert worden: Ich gehe an der Straßenseite, wenn ich mit meiner Frau spazieren gehe, ich betrete als Erster das Lokal, damit ich im Zweifelsfall den heraustorkelnden Besoffenen in die Arme nehmen muss und nicht meine Frau. Ich spreche aus, wenn mir etwas gefällt, ich mache meiner Frau Komplimente, wie gut sie aussieht in ihrem neuen Outfit, ich mache ihr sogar Komplimente, wenn wir miteinander schlafen, und sie findet es offenbar gar nicht schrecklich, wenn ich sie in diesen Momenten auf das reduziere, was ich mit dem Kompliment hervorhebe.

Ich mache auch anderen Frauen Komplimente, auch jenen, mit denen ich nicht schlafen will; ja eigentlich gerade jenen, mit denen ich nicht schlafen will. Selbst meiner Mutter, bei der ich absolut gar keine sexuellen Ambitionen verspüre. Ich mache sogar Männern Komplimente über ihr Äußeres – auch, wenn die Situation unpassend ist und der Adressat, mein Osteopath, etwas irritiert darauf reagiert.

Ich nehme die Welt mit den Augen wahr und erfreue mich an der Schönheit von Menschen und Dingen; ich bin leider durch und durch ein Ästhet: Ich freue mich auch über Komplimente, die, je älter ich werde, sukzessiv weniger werden. Vielleicht bin ich dabei nicht ganz selbstlos, wenn ich anderen Komplimente mache, weil ich nach dem Glücksprinzip hoffe, dass die Kette irgendwann wieder bei mir ankommt – also, dass jemand Fremdes mir ein Kompliment macht.

Das mag furchtbar oberflächlich klingen, aber ich lebe in einer Gesellschaft, in der das Aussehen eine große Relevanz hat, wichtig ist, schon immer wichtig war, der Fokus zum Teil leider nur noch darauf reduziert wird. Wer das ignoriert, ist entweder ignorant oder blind. Anders lässt sich kaum die Fülle an Styling-Magazinen erklären sowie die Tatsache, dass immer mehr ältere (und auch jüngere) Menschen ihr Aussehen künstlich korrigieren lassen: angefangen von Haar-Transplantationen über fanatisches Fitness bis zu chirurgischen Eingriffen.

Deshalb: Liebe gut aussehende Frauen (und Männer), lasst euch nicht auf euer Aussehen reduzieren, aber verlangt auch nicht, dass man es ignoriert insb. dann nicht, wenn ihr optisch und modisch auf eure Schönheit setzt. In einem unattraktiven Menschen steckt nicht automatisch ein attraktiver Geist oder umgekehrt. Sexismus beginnt aber erst in der Ausschlussoption, also in dem Vorurteil, dass eine blonde Frau mit Modelmaßen nicht gleichzeitig den Nobelpreis für Physik gewinnen könne. Diese These mag zwar statistisch nahe liegen, ist aber sicher genauso ein Blödsinn wie die Forderung, dass Mann oder Frau die Schönheit des / der anderen ignorieren müsse.

Und letztlich Aussehen ist immer relativ: Denn wer gut aussieht, aber wie mancher Politiker von populistischen Parteien Hässliches von sich gibt, wird bald auch äußerlich nicht mehr ansehnlich sein. Andererseits wird ein Schöngeist – ob nun mit oder ohne Haare – immer eine besondere Attraktivität ausstrahlen. Und soll ich ihm diese verschweigen, weil ich damit seinen Verstand beleidigen könnte?