Kürzlich fuhren wir mit der Straßenbahn in Richtung Naturkundemuseum. Unser Sohn hatte Kinder-Besuch, und das ist immer der erste Wunsch nach der Tobewelt und dem Jump House. An der Station Mauerpark stieg eine Gruppe von ca. 8-10 gut gelaunten Männern kurz vor dem früheren Renteneintrittsalter, also Ende 50, Anfang 60, ein. Ich vermutete einen Betriebsausflug der Alten-Leipziger-Versicherung aus Oberursel. Alle hatten schon den einen oder anderen halben Liter gepichelt, was man nicht nur roch, sondern auch anhand der Lautstärke vermuten konnte, in der sie in ihrem breiten südwest-deutschen Dialekt durch die Tram quakten. Permanent wurde über irgendetwas gewiehert, was in mir immer den Lokalpatriotismus entfacht.
Ich begann, sie mir genauer anzusehen und sogleich fragte ich mich, was deutsche Männer eigentlich unter dem sogenannten Leisure-Outfit (miss)verstehen: Warum muss man bei einem Großstadtbesuch aussehen wie bei der Durchquerung des Pacific Crest Trail? Oder der Besteigung der Eiger Nordwand? Gibt es keine anderen Jacken als wetterfeste Anoraks von Jack Wolfskin oder Goretex? Und wer hat diesen Männern nur jemals gesagt, karierte Hemden gehörten zum Freizeitlook? Wenn man Baume fällt, meinetwegen! Noch schlimmer sind diese unförmigen Fleece-Pullover, die ja so schön bequem sein mögen, aber scheiße aussehen. Etwaige Bauchansätze und Kittelschürzen „fließen“ damit auch nicht weg. Und warum muss man für einen Berlin-Besuch unbedingt die Outdoor-Treckingstiefel anziehen? Gibt’s hier Berge, die man besteigen könnte? Oder Turnschuhe? Geht ihr zum Sport oder seid ihr 20?
Über Deutsche im Sommerurlaub ist ja schon viel gesagt und geschrieben worden. Und obwohl die besockten Sandalenträger allmählich aussterben, werden wir wohl weiterhin – eng gefolgt vom Durchschnitts-US-Amerikaner – zur schlecht gekleidetsten Spezies dieses Planeten gehören. Selbst auf Neuseeland erkennt man, wie mir mein Bruder berichtete, die Deutschen bereits von weitem: Jack-Wolfskin-Jacke, Kargohose und Outdoor-Stiefel. Dabei ist das Zeug alles andere als günstig. Aber ein Kartoffelsack sieht auch nicht besser aus, wenn er aus Kaschmir ist. Es bleibt ein unförmiger Kartoffelsack.
Das Komische ist: Man kann heutzutage in zig Magazinen nachlesen, wie man sich schick und elegant kleidet; man kann sich in Italien und Frankreich inspirieren lassen, wie man sich geschmackvoll ausstattet, um sich nicht lächerlich zu machen, aber der Deutsche bevorzugt außerhalb des Büros nur noch das Bequeme. Deshalb sind bei uns auch die Trainingshosen so beliebt, von denen Karl Lagerfeld gesagt haben soll, wer diese außerhalb des Sportstudios trage, habe sein Leben nicht mehr im Griff. Oder der neuste Trend, den ich vor ein paar Wochen im Supermarkt entdeckte: Der Hausanzug – nicht etwa ein Zweiteiler aus edlem Leinen, sondern ein Hoodie ähnliches Ungetüm mit farblich einheitlicher Jogginghose. Cary Grant würde sich im Grabe umdrehen.
Verblüffend ist auch, dass man automatisch, sobald man sich nicht an diesen Leisure-Kleidungscode hält, offenbar wie eine Provokation wirkt. Als ich im letzten Sommer mit meinem neu in Italien gekauften Outfit – Khaki-Hose, grünes T-Shirt und Tod’s – zu Rewe ging, musterte mich ein aufgepumpter Tanktop-Träger an der Kasse herausfordernd von oben bis unten. Er hat nur auf einen Spruch oder falschen Blick meinerseits gewartet, weshalb ich meinen Blick auf den äußerst attraktiven Fußboden richtete und meinen Einkaufswagen devot weiterschob.
Gestern Abend suchte ich mit meiner Frau nach Urlaubsquartieren. Als Selbstständiger ist es für mich immer noch ein bisschen ungewohnt, bereits im April den Sommerurlaub zu buchen, aber da unser Sohn zur Schule geht, müssen wir uns an die Ferienzeiten halten. Dieses Jahr soll es nach Südtirol gehen. Mein Sohn und ich sind ja eher Fans des mediterranen Meeresklimas, aber diese Saison wollen wir seiner Mutter einen lange gehegten Wunsch erfüllen. Zum Glück geht es ja nach Italien, wo wenigstens das Essen stimmt. Als wir endlich eine schöne Unterkunft gefunden hatten, wollte sich meine Frau gleich auf die Online-Suche nach einem passenden Rucksack machen. „Einem was?“, fragte ich skeptisch. „Einem Rucksack“, erwiderte sie, „es gibt ganz tolle von Herschel, in die sehr viel reinpassen.“ „Wofür das denn?“, wollte ich wissen. „Na, um Proviant mitzunehmen“, ergänzte sie. „Wir fahren nach Italien! Ins Land der Kultur! Da gibt es in jedem Ort ein Café oder eine Trattoria! Dann nehme ich doch keine hart gekochten Eier und Stullen mit!“, belehrte ich sie patzig. „Aber zum Wandern brauchen wir doch was für unterwegs“, gab meine Frau zu bedenken. „Ich denke, wir gehen dort spazieren“, erinnerte ich sie. „Und wandern“, konterte sie. „Ich hab‘ aber keine Wanderschuhe! Ich bewege mich nur dort, wo ich mit Budapestern oder Slippern laufen kann! Ihr könnt gerne alleine wandern gehen, während ich auf der Piazza im Café sitze und meinen Cappuccino schlürfe!“, entgegnete ich reichlich wütend und betrachtete das Thema damit für beendet. „Dann solltest du dir für den Urlaub noch ein paar Outdoor-Stiefel oder Turnschuhe kaufen!“
Zu einer Antwort war ich nicht mehr fähig: Ich war in Ohnmacht gefallen…