Gendern als Leckerli

von Dirk Ryssel

Kürzlich hatten wir Besuch von zwei Freunden unseres Sohns…, oh pardon,… von zwei Freund*Innen. Denn genau genommen waren es ein Mädchen und ein Junge. Nebenbei bemerkt: In Frankreich, wo ich mich gerade beim Verfassen dieser Zeilen befinde, wird diesbezüglich übrigens kein Unterschied gemacht. Im Gegenteil: Wenn unter 100 Frauen nur ein Mann anwesend ist, wird die männliche Pluralform genommen, also „les amis de mon fils“ und nicht „les amies de mon fils“ verwendet. Auch nicht gerecht, aber offenbar sind die Französinnen etwas dickhäutiger als die Deutsch*Innen. Egal. Während des Gesprächs beim Essen wunderte ich mich, dass der Freund unseres Sohns, ach ja, ich vergaß, ich habe ihn ja schon mal vor Jahren erwähnt, nennen wir ihn also wieder Jonas, neuerdings genderte. Unser Sohn, politisch inkorrekt wie sein Vater, informierte ihn darüber, dass in unserem Hause nicht gegendert werde. Selbstverständlich korrigierte ich sofort meinen Sohn mit dem Hinweis, dass bei uns nicht gegendert werden müsse, wenn er aber selbst gerne gendere, könne er dies selbstverständlich tun.

Daraufhin entbrach zunächst einmal das übliche Gezeter über Sinn und Unsinn des Genderns, ob nun aus semantischer, grammatikalischer oder etymologischer Sicht. Mein Sohn erinnerte daran, dass nicht etwa alte, weiße deutsche Männer das generische Maskulinum eingeführt hätten, sondern bereits die Lateiner, also die Römer. Obwohl Jonas in der Schule Altgriechisch lernt, konnte er die Herkunft des generischen Maskulinums leider nicht den Griechen zuschieben, sodass diese Frage vorerst ungeklärt blieb. Dennoch schlug er eine Bresche fürs Gendern, weil damit ja schließlich die Frauenrechte „adäquat“ (nicht von mir!) verteidigt würden, worauf er ein lautes Aufstöhnen meines Sohns und einen total verliebten Blick des jungen Mädchens erhielt.

Letztlich waren wir während dieses sprachhistorischen Diskurses längst mit dem Essen fertig geworden. Als meine Frau und ich aufstanden, um den Tisch vom Unrat und den Tierkadavern zu befreien, kleiner Scherz, selbstverständlich gab es nur vegetarisches Essen, sprang sogleich das Mädchen hinter uns her, um uns zu helfen. Und was machten die beiden Jungs? RICHTIG: Sie blieben sitzen und diskutierten eifrig weiter, ohne im Geringsten die klassische Rollenverteilung zu bemerken (treue Leser meiner Seite wissen, dass ich mich selbst als Haus-Squaw betrachte!). Als Jonas aufstand, war der Tisch bereits fast vollständig abgeräumt. Er knüllte seine Serviette zusammen und fragte meine Frau, wo er sie entsorgen solle. Wie selbstverständlich nahm sie ihm meine Frau ab.

Sogleich wurde mir etwas klar, und um es vorweg zu nehmen: Ich bin nur ein Querdenker im historischen, nicht im gegenwärtigen, negativ konnotierten, Sinn. Es wird nämlich Zeit, dass sich das kritische Bürgertum ihre vom rechten Mob annektierten Begriffe und Maximen wieder zurückholt. Ich selbst bin in der Zeit des Punk groß geworden, als das Bier bewusst aus Dosen getrunken wurde, um damit gegen jede Etikette zu verstoßen. Damals galt die Devise: Wenn alle dafür sind, bin ich aus Prinzip schon dagegen.

Anyway, jedenfalls kommt mir allmählich der Verdacht, dass irgendwo in den Thinktanks und PR-Abteilungen von Regierung und Wirtschaft Theoretiker sitzen, die u.a. darüber nachdenken, wie man der ewigen Nörgelei der Frauen nach Anerkennung, denselben Löhnen und beruflichen Positionen endlich beikommen kann, ohne dass sich grundsätzlich etwas ändert. Schließlich gibt es diese feministischen Forderungen schon länger als den Feminismus selbst, ohne dass sich hierzulande, also insb. im Westen Deutschlands fundamental etwas geändert hätte. Weshalb vielleicht im Osten das Gendern gar nicht so ein Thema ist.

Mein Verdacht ist nämlich, dass das Gendern, das es ja bereits in den 1990er Jahren gab, als es sich aber komischerweise nicht durchsetzen wollte, letztlich eine Erfindung dieser versierten PR-Spezialisten ist. Ungefähr so wie die Erfindung der Leckerlis für Hunde, die man damit zahm und fügsam hält. Wir gendern lieber, damit die Frauen endlich ihre Schnauze halten, anstatt sich darüber zu beklagen, dass sie weiterhin für weniger Geld als ihre männlichen Kollegen arbeiten, zudem aber noch zu Hause das Essen kochen, sich um die Kinder kümmern, die Wäsche reinigen und das Klo putzen. Die geschlechtergerechte Sprache ist wie ein Leckerli, den man den Frauen vor die Füße wirft, damit sie sich danach bücken und nicht merken, dass sie mal wieder von den Männern von hinten gef_ _ _ _, … na ja, Sie wissen schon…, wurden…