Hoffnung

von Dirk Ryssel

Wenn wir in ein paar Jahren über die Corona-Krise resümieren, werden wir uns daran erinnern, dass sich die Italiener während der Ausgangssperre gegenseitig vom Fenster aus Musik vorspielten, um das Bedürfnis ihrer ebenso eingesperrten Nachbarn nach ein bisschen Kultur und Unterhaltung zu befriedigen. Und dass in den Amour- bzw. Amore-Ländern Frankreich und Italien das Home-Office offenbar nicht langweilig wurde, schoss doch zu dieser Zeit der Online-Absatz von Sextoys signifikant in die Höhe. Vermutlich auch, dass der französische Luxuskonzern LVMH, der gewöhnlich Parfums für Louis Vuitton, Givenchy oder Dior produziert, seine Produktion komplett auf Desinfektionsmittel umstellte, um diese kostenfrei Kliniken und Krankenhäusern zu spenden. Ganz sicher, dass sich die Spanier jeden Abend auf den Balkon stellten und applaudierten, um somit dem unvergleichlichen Einsatz des Klinikpersonals, also jenen Ärzten, Krankenschwestern und -pflegern zu danken, die sich für sie und ihre geliebten Mitmenschen Tag und Nacht einsetzten. Man wird sich an Länder wie Nordirland und Norwegen entsinnen, die als erste besondere Öffnungszeiten in den Supermärkten für ihre älteren Mitmenschen eingerichtet haben, um diese besonders gefährdete Zielgruppe vor dem großen Ansturm zu schützen. Und man wird sich ins Gedächtnis rufen, dass der Staatschef sowie sämtliche Minister und Abgeordnete auf ein Monatsgehalt verzichteten – zugunsten der sogenannten Helden der Corona-Front: Krankenschwestern, Putzkräften, Taxifahrern. Nicht in Deutschland, nein, in Singapur.

Ich hoffe, dass man sich in Deutschland, das seit 1945 keine Krise mehr erlebt hat, nicht nur an die Hamsterkäufe hysterischer Kunden erinnern wird, die offenbar von ihren Ängsten so gestresst waren, um sich für ein paar Rollen Toilettenpapier mit dem Personal und / oder anderen Kunden zu prügeln. Vielleicht wird man in ein paar Jahren sogar das Rätsel, warum auf einmal so eine große Nachfrage nach Toilettenpapier im Zusammenhang mit einem Lungen-, nicht etwa einem Magen-Darm-Virus herrschte, geklärt haben. Und ich hoffe inständig, dass sich meine zynische These, dass jene Hamsterkäufer einfach nur zu viel Angst hatten, mit dem infolge einer Corvid- 19-Erkrankung zu erwartenden Husten könne die Scheiße aus ihrem Hirn mit herausgeschossen kommen, nicht bewahrheitet.

So ich eine Infektion überstehen sollte, werde ich mich hoffentlich daran erinnern, dass ich alsbald weniger gestresst war, weil mein Sohn irgendwann erfasste, dass unterrichtsfrei nicht gleich Ferien bedeutet. Und dass ich ihm und mir erklären konnte, warum der große Sportplatz, wo man genügend Abstand zwischen den Menschen halten kann, zwar geschlossen, sämtliche Cafés  und Spielplätze aber zeitgleich geöffnet waren. Ebenso Friseurläden, bei denen eigentlich nur Edward mit seinen Scherenhänden den Mindestabstand von anderthalb Metern zum Kunden garantieren kann. Vielleicht werde ich sogar Verständnis für die Ignoranz der Jugendlichen haben, die in dieser Zeit überall Partys mit Corona-Bier feierten – schließlich zahlten sie bereits zu diesem oder einem späteren Zeitpunkt die Renten- und Krankenkassenbeiträge der Risikogruppen, während sie selbst im Alter leer ausgehen sollten. Wieso hätten sie also Rücksicht auf die Alten nehmen sollen?

Aber möglicherweise werde ich auch stolz auf die Lern- und Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft sein: Dass sich z.B. ein Baden-Württembergisches Unternehmen dagegen verwehrt hatte, sich von Donald Trump aufkaufen lassen, um ihren potenziellen Corona-Impfstoff exklusiv an die USA zu verkaufen. Und  auf die Pharma-Industrie, über die ja seit Jahren wenig Positives berichtet wurde.

Möglicherweise werde ich auch akzeptiert haben, dass wir Deutsche nun einmal nicht die Spontansten unter den Völkern Europas sind, uns aber von positiven Emotionen schnell beeinflussen und überzeugen lassen, wie z.B. dem Ritus der allabendlichen Anerkennung der Leistungen des medizinischen Personals, der in der dritten Märzwoche in Köln und Berlin Prenzlauer Berg – ja, die Schwaben sind eben nicht nur gut für Bashing – seinen Anfang nahm und hoffentlich wenig später in der gesamten Republik zum solidarischen Symbol werden sollte.

Und ich hoffe, ich werde mich dann positiv daran erinnern, wie sich nach dem anfänglichen Egoismus, der Panik sowie der Angst, unsere Gesellschaft an die Sternstunden zu Zeiten der Maueröffnung, des Elbe-Hochwassers und der ersten Flüchtlingswelle erinnerte und Empathie, Fürsorge und Nächstenliebe zu den Maximen unserer so oft geforderten Leitkultur wurden.