In den 1990er Jahren, als ich noch studierte, ging es damit los: Das Anhängen eines „Innen“ an jede in der Mehrzahl genannte Gattung, das die maskulistisch geprägte Grammatik aufdecken und die biologische Diversität hervorheben sollte. Wir hatten damals einen Professor, der sich spürbar bemühte, diesen neuen Kodex einzuhalten, indem er entweder vor jedem „Innen“ seinen Mund so weit spreizte, dass man die Brücken des achten Zahns auch in der letzten Reihe des Seminarraums noch sehen konnte. Oder aber, sollte er die neudeutsche Endung mal vergessen haben, schnell ein „geschlechtsunspezifisch“ hinter jedes generische Maskulinum einfügte. Seine vermeintlich politische Korrektheit hinderte ihn jedoch nicht daran, geschlechtsunspezifisch immer wieder Studenten vor dem gesamten Plenum herunterzuputzen, wenn er mit ihren Ausführungen nicht zufrieden war.
Seltsamerweise war das Gender-Mainstreaming fast zwanzig Jahre aus der Mode gekommen, aber mir scheint, seit der #MeToo-Debatte hat es neuen Aufwind bekommen. Neuerdings halten die Moderatorinnen und Moderatoren bei meinem Lieblingssender Radioeins vom RBB nach jedem grammatikalisch maskulinen Wort eine rhetorische Pause von einer Achtelsekunde ein, um anschließend mit einem „Innen“ das feminine Genus hinzuzufügen. Als Lektor bluten mir nicht nur wegen der grammatikalisch falschen Wortbildung die Ohren, auch jeder klassische Rhetoriker wird sich vermutlich wegen dieser künstlichen Synkope seine Fingernägel zerkauen. So wurde bezüglich der Corona-Maßnahmen kürzlich von einem Treffen der Regierungschef(Achtel-Pause!)Innen“ gesprochen, damit uns auch bewusst ist, dass in dieser Führungsriege nicht nur Männer das Sagen haben, sondern mit Manuela Schwesig und Malu Dreyer auch zwei Frauen in der Testosteron-Liga vertreten sind. Weil es für den Nachrichtenwert, in dem es um die beschlossenen Maßnahmen zur Covid19-Bekämpfung ging, von so entscheidender Relevanz ist, ob die Entscheider ihr Gehänge oben- oder untenherum haben. Ehrlich gesagt, ich habe vorher überhaupt keinen Gedanken darüber verschwendet, ob dort Männer, Frauen oder Außerirdische in der Exekutive sitzen: Mich interessierte einzig und allein ihre Politik und ihr Schaffen. Das Problem war vielmehr, dass ich erst durch die Genus-Separation in meiner Aufmerksamkeit unterbrochen wurde, weil ich darüber nachdachte, wer von den Ministerpräsident(Achtel-Pause!)Innen eine Frau ist.
Als ich mit meiner Frau darüber sprach, fragte sie mich, was eigentlich mein Problem sei. Ob ich jetzt auch zu den selbst ernannten Besitzstandswächtern gehören wolle, die niemals eine sprachliche Veränderung zuließen und die bestehenden Regeln über den Alltagsgebrauch stellten. So wie seinerzeit die empörten Philologen, die die neue deutsche Rechtschreibung ablehnten, weil sie sie nun mal anders gelernt hätten.
Da ist durchaus etwas dran. Schließlich gehöre ich mit 54 Jahren schon wegen meiner Haarfarbe bereits zu den „alten weißen Männern“, die nichts mehr dazulernen wollen… Vielleicht störe ich mich aber nur daran, dass die Genderisierung mehr oder weniger von oben verordnet wird. Also nicht durch den alltäglichen Sprachgebrauch offiziell wird wie z.B. etliche Ausdrücke des Jugendjargons, die jedes Jahr ihre Aufnahme im Duden finden, sondern aus einem rein pädagogischen Impetus politischer Korrektheit. Dessen Sinn ist, durch die Sprache das Denken zu modifizieren und dadurch weniger Diskriminierung entstehen zu lassen. Wenn das funktionieren sollte, wäre ich der Letzte, der sich dagegen sträubte. Ich habe allerdings den Verdacht, dass die Genderisierung der Sprache nur all jene Probleme überdecken soll, deren Änderung viel aufwendiger wäre: Dass nämlich Frauen – nur aufgrund ihres Geschlechts – nach wie vor trotz ihrer Kompetenz diskriminiert, schlechter bezahlt, bepöbelt und misshandelt werden. Und das nicht nur am Arbeitsplatz. Da scheint es doch einfacher zu sein, hinter jedes männliche Nomen ein „Innen“ anzuhängen, um damit sämtliche Östrogene in positive Schwingungen zu versetzen. Als Angehöriger der Boomer-Generation habe ich allerdings einen leichten Widerwillen gegen solche Sprachbereinigungen, weil sie mich an Orwells „Neusprech“ erinnern.
Vielleicht sind die Genderformen aber nur eine Sache der Gewöhnung, weshalb ich es ausdrücklich begrüße, wenn Politikerinnen von Bündnis90/Die Grünen wie Karin Göring-Eckard in einem Twitter-Kommentar zum Konjunkturpaket deren Gebrauch ironisieren: (…) „dass es Frauen als große Verliererinnen der Krise dringend nötig hätten… “ von der Bundesregierung gefördert zu werden, „pfeifen die Spatz*Innen längst von den Dächern“. Spatz*Innen? Das finde ich super und nur konsequent! Lasst uns von jetzt an jedes männliche Geschlecht durchgendern! Aus Weihnachtsbäumen werden Weihnachtsbäum*Innen, Tölpel werden zu Tölpel*Innen und aus Mistkäfern werden Mistkäfer*Innen? Aus Schweinen werden Schwei… ach nee, da gibt es ja schon eine weibliche Version.