Wenn es ein Fest gibt, das man meines Erachtens sofort abschaffen könnte, dann ist es Silvester! Ich meine, mal ganz ehrlich, wer denkt am Jahreswechsel schon an den heiligen Papst Silvester I., dessen Todestag am 31.12.335 wir das zwanghafte Abfeiern des Saisonendes zu verdanken haben? Vermutlich niemand außer dem noch lebenden Papst. Ansonsten dient der letzte Tag im Jahr doch nur als Blankoschein für haltlose Besäufnisse, die sogar den Vatertag wie eine Abstinenzkur dastehen lassen. Und diesem alkoholischen Übereifer sei Dank, dass die Ambulanzen der Krankenhäuser an jedem 31.12. Hochbetrieb feiern wie nach einem Fliegerangriff zu Kriegszeiten. Wobei die Abduktionen von Hand- und Gesichtsteilen in den meisten Fällen durch Autoaggression statt durch Fremdeinwirkung vollzogen werden.
In glimpflichen Fällen werden neuneinhalb Monate später die Kreissäle gestürmt, weil der Alkohol zwar das lendische Kribbeln erhöht, aber die Kontrolle beim „ich pass‘ doch auf, Schätzchen“ hemmt. Vielleicht liegt darin ja der eigentliche christliche Urgedanke dieser alljährlichen Feiertradition – schließlich mehren sich der Statistik zufolge gerade die verklemmten Bildungsbürger zu wenig. Und ab einem gewissen Alter muss man sich den Schlafzimmermitbewohner wohl allmählich schön trinken. Aber wer braucht jenseits des bereits erfüllten irdischen Auftrags zur Reproduktion der eigenen Gene sowie jenseits der Menopause noch einen vordiktierten Anlass zum Partymachen? Silvester ist doch wenn überhaupt nur für das Jungvolk eine offizielle elterliche Erlaubnis zum kollektiven Besäufnis. Während bei unsereins die einst vermeintlich athletischen Extremitäten auch ohne Alkohol nicht mehr so funktionieren wie im fruchtbaren Lebensstadium.
Ich habe schon so viele Silvester er- und überlebt, und kaum eines war die folgetäglichen Torturen durch Aspirin oder den obligatorischen Neujahrsspaziergang durch pyrotechnische Munitionsabfälle und Lachen menschlichen Mageninhalts wirklich wert. Und wer hat noch im Februar etwas von den sogenannten guten Vorsätzen, die er oder sie am Silvesterabend getroffen hat, wissen wollen. In den Fitness-Centern gibt es im ganzen Jahr nicht so viele Neuanmeldungen wie im Januar, aber spätestens im April bekommt man endlich wieder einen Spint, ohne groß zu suchen und muss auch an den Trainingsgeräten nicht mehr anstehen. Ich vermute, dass auch die meisten Zigaretten- und Tabakläden am liebsten den gesamten ersten Monat im Jahr schließen würden, um sich für den Ansturm im Februar zu rüsten.
Tatsächlich bin ich immer froh, wenn Mitte Januar ist und die letzten Böller verglimmt sind: Dieser ganze Stress nach Weihnachten, die Überlegungen, was man zu Silvester machen, wen man einladen will – herrje, was war ich dieses Jahr mal ausnahmsweise – Corona sei Dank – froh, darüber keinen Gedanken verschwenden zu müssen. Langweilige Abende mit depressiven Freunden, die die langen Stunden bis Mitternacht darüber sinnieren, welches Buch sie auf eine einsame Insel mitnehmen oder quälende Stunden mit den Eltern und Schwiegereltern vor zwanghaft witzigen TV-Shows im Fernsehen – alles das nur, um bis 12 Uhr nachts zu warten, damit man ja nicht vergisst, rechtzeitig mit blubberndem Magengift anzustoßen? Dann schon lieber den Gongschlag über der Kloschüssel verschlafen, wo man im jugendlichen Alter die erste Alkoholvergiftung durchlebte.
Silvester gehört zu den überbewertesten Festen des gesamten Jahres! Ich wusste noch nie so genau, was es an diesem Tag zu feiern gibt: Dass das Jahr zu Ende ist? Na hui! Da könnte man ja auch gleich jeden Monat, jede Woche oder jeden Tag feiern! Zum Saufen bedarf es schließlich keiner speziellen Gründe. Dass ein neues Jahr beginnt? Wenn es danach geht, könnte ich gleich morgens zur Flasche Schluck, anstatt zur Tasse Kaffee greifen. Und wieso versucht man krampfhaft die Langeweile zu überbrücken und stopft sich mit kalorien- und eiweißhaltigen Endlosmahlzeiten die Wampe voll, um „eine ordentliche Grundlage“ für die säurehaltigen Alkoholika zu haben, damit man dann zu Prosit Neujahr auf die Gesundheit anstößt? Da wäre es sicher ein besserer Vorsatz, einmal früh und vor allem nüchtern schlafen zu gehen, um am nächsten Morgen fit für die Startbahn auf dem Sportplatz zu sein.
Am Geistreichesten finde ich dabei das Ritual, die Wünsche und Vorsätze auf einen Zettel zu schreiben, den man an einen brennenden Ballon oder an die Silvesterrakete heftet. Das drückt zumindest aus, was man im kommenden Jahr damit anzufangen gedenkt: Dass sie sich möglichst schnell in Asche und Rauch auflösen mögen.
In dem Sinne: Prost Neujahr, gute Nacht!