Staubsaugmanie

von Dirk Ryssel

Einer meiner besten Freunde hat sich einen Leifheit Regulus Teppichkehrer gekauft. Sie wissen schon, diese manuellen Dinger, die meist unsere Omas hatten und mit denen sie vergeblich die Krümel nach dem Frühstück wegrollen wollten. Ich wusste gar nicht, dass es diese nutzlosen Geräte noch gibt und fragte ihn, ob er dafür auf dem Flohmarkt gewesen sei. Er erklärte mir, dass er eine absolute Staubsaugmanie habe: Wenn er erst einmal den Sauger aus der Kammer hole, wäre er die nächsten anderthalb Stunden damit beschäftigt, weil er dann nicht mehr aufhören könne. Deshalb laufe er täglich mit Besen, Kehrblech und eben jenem Leifheit Regulus durch die Wohnung und sammle Krümel und Haare auf. Mit der gesparten Zeit putze er mehrmals wöchentlich die Toilette. Oder schreibe Drehbücher. Je nachdem.

Ich muss gestehen, ich habe ebenfalls einen Staubsaugfimmel. Im Ernst, ich könnte ständig staubsaugen. Meine Frau und mittlerweile auch mein Sohn verlieren mehr Haare als ein ganzes Wolfsrudel zusammen. Und jetzt wollen sie auch noch einen Hund anschaffen. Spätestens dann drehe ich durch: Ich habe schon zwei Staubsauger, nämlich einen Akku-Sauger für das tägliche Sichtsaugen und einen Powersauger fürs Wochenwerk. Die meisten Gäste, die uns besuchen, behaupten: „Bei euch sieht es doch immer so sauber aus – ist das denn wirklich nötig?“ Doch sobald ich ihnen mit meiner an der Düse montierten Taschenlampe die schmutzige Realität zeige, werden sie ganz still. Sieht man sich diesen Dreck und Unrat, auf den man täglich tritt, genauer an, wundert’s einen nicht, dass bei offiziellen Hygienetests heimische Küchen schlechter abschneiden als Bahnhofstoiletten.

Bei Freunden von uns, die zwei Kinder haben sowie zwei Au-pair-Mädchen hatten, war es mitunter so krümelig, dass man sich ohne Schuhe wie bei der Fußreflexzonen-Massage vorkam. Meine Mutter hatte zwei Putzfrauen und einen Elektrolux-Staubsauger, dessen jährliche Wartung mehr kostete als mein Turbo-Reiniger in der Anschaffung, doch lief man dort barfuß im Haus herum, hatte man am Abend so behaarte Füße wie ein Hobbit: Sie hatte zwei große Hunde, muss ich zu ihrer Entschuldigung sagen.

Vor ein paar Jahren machten wir Urlaub in einem schönen Bergdorf in Ligurien. Dort war von Insektenschwund noch nicht viel zu spüren: Man konnte nicht einmal tagsüber in den Garten gehen, weil einen die Mücken schier auffraßen. Es mangelte auch keineswegs an allerlei anderem Kerbtier und Sechs- bis Tausendbeinern, die ich noch nie gesehen hatte. Als wir das pittoreske Ferienhaus betraten und ich mich umsah, stellte ich fest, dass die ehemals weiße Decke wie ein Stracciatella-Eis aussah: Zwischen Dachbalken und weißgetünchtem Mauerwerk nisteten ca. 300 lebende und tote Spinnen. Sogleich entdeckte ich einen Staubsauger, der allerdings eher wie eine elektro-historische Rarität aus den 1950er Jahren aussah. Vielleicht entstammte er eher der dekorativen Inspiration eines hippen Innenarchitekten als dem Arsenal des Reinigungspersonals.

Als ich ihn mit einem kritischen Blick abklopfte, beruhigte mich die Vermieterin mit den Worten: „Hier im Süden fegen und wischen wir eher als zu staubsaugen!“ Nun, ich hätte es ahnen können: Nach meinen morgendlichen Rückenübungen sah der Fußboden ungefähr so aus wie beim Engelmachen am Strand. Wenn ich fertig war und aufstand, umgab mich eine derartige Staubwolke, dass mein damals Fünfjähriger jedesmal zu heulen anfing, weil er dachte, der Sandmann wäre da, und er müsste ins Bett.

Am dritten Tag unserer Ferien saugte ich mit dem Gründerzeitmodell, das mir währenddessen beinahe explodierte, eine Stunde lang die Decke und den Fußboden ab, und für ein paar Stunden war unser Domizil insekten- und staubfrei. Ich hatte nicht bedacht, dass unter der Haustür ein ungefähr fünf Zentimeter breiter Spalt war, unter dem sogar eine Vogelspinne bequem durchgepasst hätte. Ohne Scherz wir hatten sogar einen Gecko sowie einen ca. zehn Zentimeter langen Tausendfüßler in der Küche. Binnen eines Tages war die Bude wieder voller ungebetener Chitinpanzerträger und dank des trockenen Wetters wehte auch der gesamte Feinstaub der schwülwarmen Atmosphäre herein. Ich hätte auf die Vermieterin hören sollen, aber das ließ mein Hygienefimmel nicht zu.

Soeben kracht die Tür ins Schloss: Mein Sohn kommt nach Hause. Er hatte heute Weitspringen im Sportunterricht und zieht seine Turnschuhe aus. Bis zu meinem Schreibtisch höre ich, wie der Sand auf die Dielen rieselt. Ich krieg‘ die Krise! Hört das denn nie auf? Sisyphos‘ Schicksal war ein Spaziergang gegen meines…