Regen

von Dirk Ryssel

Dieser Sommer war eine Herausforderung für jeden Sonnen- und Sommerliebhaber. Und er ist es noch, denn die Meteorologen sagen für den September satte Temperaturen und weiterhin heiteres Wetter voraus. Ein herrlicher Altweiber-Sommer, der weniger sexistisch und Neudeutsch auch „Indian Summer“ genannt wird. Ich bin wirklich ein Sonnen- und Sommerfan, aber – wie es so schön heißt – was zu viel ist, ist zu viel. Denn gefühlt hat der Sommer dieses Jahr bereits Ende März begonnen und wie oben bemerkt, ist ein Ende noch nicht in Sicht.

Denn wenn man nicht gerade ein Haus am Meer oder an einem See hat, kann ein Dauersommer mit Temperaturen von mehr als dreißig Grad reichlich anstrengend werden. Die Autofahrer fahren aggressiv, weil nicht jede Klimaanlage zu funktionieren scheint, es ist überall staubig, weil die Erde schlichtweg zu trocken ist, und auf dem Balkon kommt man mit dem Gießen nicht hinterher. In Sachsen haben die Kommunen dringend geraten, auf das Bewässern der Privatgärten zu verzichten, solange der Regen ausbleibt, aber für den frisch gebackenen Hausbesitzer ist es nicht gerade erbaulich, wenn er untätig zusehen muss, wie sich seine eigens angelegte Grünanlage unaufhaltbar ins Bräunliche verfärbt. Da bekommt man ja bei jedem Bier ein schlechtes Gewissen.

Apropos Sachsen: Gerade in diesem Sommer liest man wieder ständig von Messerstechereien, Wutbürgern und gewaltbereiten Meuten, die reklamieren, sie seien das Volk. Ich bin davon überzeugt, das kann nur an der Sonne liegen. Wir Deutschen sind es einfach nicht gewohnt, dauerhaft so gutes Wetter zu haben. Wir sind halt keine Italiener oder Griechen, wo Sommer gleich Sommer bedeutet. Und im Osten schon gar nicht, wo doch jeder weiß, dass dort vor der Wende alles noch monochrom und wolkenverhangen war und erst durch Helmut Kohl die „blühenden Landschaften“ hervorgesprossen sind. Ein dauerhaft sonniges Wetter lässt „in diesem unseren Lande“ nur Skepsis aufkommen. Während die Provençalen auf ihr sonniges Wetter stolz sind und erste Depressionserscheinungen bekommen, sobald ein paar Schäfchenwolken den Himmel zieren, ist man in Deutschland einstweilen „besorgt“, und es werden „Krisen“ ausgerufen, wenn die Sonne mal zu lange scheint. Sind das etwa schon die Auswirkungen des Klimawandels? Müssen wir uns jetzt dauerhaft auf eine solche Hitze einstellen? Die Bauern krähen sogleich, dass sie wegen der Trockenheit Ernteausfälle in Milliardenhöhe haben, obwohl sie im Jahr zuvor dieselben wegen der Nässe reklamierten. In Südfrankreich, Italien, Spanien oder Griechenland können die Bauern angesichts der Probleme ihrer deutschen Kollegen sicher nur müde lächeln.

Aber ich will gar nicht zynisch werden: Wir Deutschen sind nun mal auf Positives nicht aus- und eingerichtet. Es kann nicht sein, dass uns so viel Gutes widerfährt. Wir müssen immer stöhnen und jammern. Nicht von ungefähr gilt es in Berlin schon als Lob, wenn man sagt: „Da kann man nicht meckern!“. Weil nämlich ansonsten alles negativ und zu bemängeln bzw. zu bemeckern ist. Ich will mich dabei gar nicht ausnehmen: In den langen Wintermonaten jammere ich über die Kälte und Dunkelheit, und sobald es mal über 25 Grad werden, ächze ich, dass ich wegen der Hitze nachts nicht schlafen kann.

Zuviel des Guten bewirkt bei uns Deutschen nur das Gegenteil. In unserem Unterbewusstsein sind wir davon überzeugt, dass es uns nicht zusteht. Im Leid sind wir hingegen wesentlich schicksalserprobter. Und außerdem sind wir Arbeitstiere! Wir müssen immerzu malochen, sonst werden wir unzufrieden. Ich meine, wie bekloppt muss man sein, bei 37 Grad (im Schatten) in der sengenden Sonne eine Straße zu asphaltieren? Jeder normal denkende Sizilianer würde zwischen 12.00 und 17.00 Uhr eine Pause einlegen, aber der deutsche Bulle arbeitet durch, bis er umfällt. Ist doch logisch, dass ihm dabei die letzten Sicherungen durchfackeln und er angesichts der Flüchtlinge, die in seinen Augen fröhlich auf dem kühlen, erfrischenden Mittelmeer paddeln, neidisch wird.

Nein, mit der Sonne muss nun ein für alle Mal Schluss sein! Ich wünsche mir den Regen, damit sich allerorts die Gemüter wieder abkühlen können. Und natürlich auch, damit die Pflanzen und Bäume endlich etwas zu trinken bekommen. Ich wünsche mir sogar sehr viel Regen. Wirklich sehr, sehr viel Regen! Sintflutartigen Regen! Damit die Elbe und alle anderen Flüsse Sachsens Hochwasser tragen, über die Ufer schießen und sämtliche Dämme zerfetzen. Und wenn dann der Zwinger in Dresden wieder unter Wasser steht und wir im Fernsehen die Bilder von den Menschen sehen, deren Keller unterspült sind und in den Straßen ihre Neuwagen und ihre hässlichen Plüschsofas von den Flutwellen davongeschwemmt werden, miete ich mir einen Bus und reise mit 100 motivierten Flüchtlingen vor Ort. Nicht um tatkräftig zu helfen wie viele meiner Landsleute in früheren Jahren, sondern um die Wohnungen und Häuser jener Demonstranten aufzusuchen, die noch in diesem Sommer hämisch über die Flüchtlingsboote gelacht und gegrölt haben. Und wenn diese dann auf ihren Dächern sitzen und auf Hilfe warten, werden wir im Kanon singen: „Absaufen! Absaufen! Absaufen!“…