Renovieren

von Dirk Ryssel

Als ich mich heute Morgen ein wenig vorbeugte, um nach der Zahnpasta zu greifen, bohrte sich ein römischer Pilum in meinen Lendenwirbel. Eine schmerzverzerrte Fratze starrte mich in diesem Moment im Spiegel an. WAS WAR DAS?

Ich habe niemals Rücken! Alle meine Freunde und meine Brüder klagen darüber, aber ich habe nie Schmerzen im Lendenwirbel. Dafür trainiere ich regelmäßig auf dem Sportplatz an der Reckstange. Mein Freund aus Hannover nennt das Schindluder mit dem Körper treiben. Ich bin eigentlich ganz stolz auf die Stabilität meines Rückens. Oder war es bis jetzt. Natürlich kann ich nicht mit solchen Kerlen mithalten, wie dem sympathischen Sportler, der auch bei 7 Grad noch mit freiem Oberkörper trainiert. Er hat allen Grund der Welt seinen Luxus-Body zu präsentieren: Er wäre ein geeignetes Modell für die Ausstellung „Körperwelten“. Hoffentlich trifft er niemals auf Gunther von Hagen, sonst wird er bald plastiniert, und ich könnte seinen einarmigen Klimmzügen nicht mehr fassungslos beiwohnen. Nein, so fit bin ich nicht und war ich auch nie. Schon gar nicht mit 30 wie der Kollege. Aber was nützt das ganze Training, wenn man dann doch bei ungewohnten Bewegungen versagt.

Wir haben nämlich renoviert. Während andere in den Herbstferien nach Mallorca und Israel jetten oder sich wie mein Bruder irgendwo in der Provence in einer Hängematte die Eier schaukeln, haben wir Farbe in unseren Altbau statt in unsere Gesichter gebracht. Ursprünglich wollten wir das Zimmer streichen lassen, aber in Deutschland einen zuverlässigen Handwerker zu finden, ist ungefähr so illusorisch wie in Berlin eine preiswerte Wohnung. Also proklamierte meine Frau gemäß unserer Regentin selbstbewusst: „Wir schaffen das!“ Dass sie ihren Einsatz auf das Streichen der Kanten und Ränder reduzierte, hätte ich ahnen können, aber ich konnte ihr auch nicht böse sein, schließlich kümmerte sie sich um das leibliche Wohl des Haussklaven und der unausgelasteten Ferienkinder, also meinem Sohn und seinem angereisten Freund Jonas Esra (siehe „Altkluge Kinder“), die auch nicht gerade eine Hilfe waren.

Was erwartete mich bei 3,37 Meter hohen Wänden: Bereits nach zehn Minuten wusste ich, warum Handwerker so breite Unterarme haben, denn nach zehn Minuten Schwingen der Teleskopstange brannten die Faszien meines Antebrachiums bereits wie Feuer. Woher nahm meine Frau nur ihren Optimismus? Nach einer Viertelstunde zeigten sich schon die ersten Anzeichen einer Nackenstarre, und ich befürchtete, für den Rest meines Lebens mit einer Halskrause herumrennen zu müssen und wie ein Planespotter auszusehen. Damit nicht genug: Durch das unfreiwillige Schwingen des Oberkörpers merkte ich schnell, dass die Tage meines aktiven Bauchtanzes wohl schon eine Weile her waren und ich den Hüftschwung seinerzeit nicht hätte der Frauenbewegung zuordnen sollen. Plötzlich wurde mir klar, warum so viele Handwerker rauchen: Um öfter Pausen machen zu können.

Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als ich mit besagtem Freund aus Hannover in diversen Wohnungen schindluderte, und wir damals eine Menge Spaß dabei hatten. Dementsprechend sahen die Pfusch-Resultate auch aus, aber aus heutiger Sicht entsagt sich mir die Nachvollziehbarkeit des Spaßes gänzlich. War das vielleicht schon ein Verzweiflungsirrsinn, der uns früher zum Lachen veranlasst hat? Als ich mir nach einer gegönnten Nichtraucherpause die Decke ansah und ausrechnete, dass ich mich mindestens noch drei weitere Stunden derart abmühen müsste, kamen mir eher die Tränen. Dementsprechend reagierte ich auch auf die pädagogischen Kommentare meiner Frau, dass ich ja schon sooo weit gekommen wäre. Der Pinsel hätte sie voll am Kopf getroffen, wäre die Tür nicht schon zu gewesen.

Als ich mir dann noch Farbe ins Auge spritzte, bekam ich einen Hysterischen: „Ich werde blind von diesem Scheiß!“, brüllte ich, während ich ins Bad stürzte, wo der Freund meines Sohnes gerade entspannt ein Ei legte. Nur durch Glück und reichliches Spülen blieb mir mein Augenlicht erhalten, und ich machte mit der Taucherbrille meines Sohnes tapfer weiter, bis sich mein Impingement-Syndrom mit einer Schmerzsinfonie in der rechten Schulter zurückmeldete. Doch da hatte ich den Wänden längst den Krieg erklärt, und der ausgeschüttete Endorphin-Cocktail ließ mich auf das Abendessen verzichten, um den Eimer mit der weißen Farbe endlich leer zu bekommen. Ich strich die Decke und die Wände, als ob ich wie Spartacus gegen die Römer kämpfte.

Nach einer Woche sind wir endlich fertig und meine Frau ist sehr glücklich. Zwei Wände und die Decke sind frisch geweißt, zwei Wände burgunderrot. Mit meinen güldenen Bilderrahmen sieht es dann aus wie im Museum oder wie im Bordell, was vermutlich meine in die Jahre gekommene Leidenschaft wieder entfachen soll. Vorausgesetzt, ich bekomme meinen Rücken in Ordnung. Und die schmerzende Zerrung im linken Arm, die ich mir am letzten Tag beim Schleppen der abzubeizenden Türen zugezogen habe, lässt nach. Ich bin ein Wrack!

Renovieren ist nichts für Schwächlinge… älter werden bekanntlich auch nicht!